Beim Schälen der Kartoffel
http://www.publikative.org/2012/04/04/25372/
Darf man Israel kritisieren? Sogar als Deutscher? Diese Fragen implizieren, es existiere ein ungeschriebenes Gesetz („das Verdikt ‘Antisemitismus’ ist geläufig“), wonach den Deutschen der Mund verboten werde. Auch Günter Grass könnte wissen: Kaum ein Staat bzw. dessen Politik wird in Deutschland und Europa so oft und vehement kritisiert wie Israel – und zwar ohne dass fortwährend Antisemitismus gerufen wird.
Von Patrick Gensing, zuerst veröffentlicht bei tagesschau.de
Während die Palästinenser vielen Deutschen als Opfer eines „rassistischen Apartheidstaates“ gelten, die sich nur mit harmlosen Raketen aus Blech gegen die „zionistischen Aggressionen“ zu wehren versuchen, finden derzeit Berichte über ultraorthodoxe Juden und die Siedlungspolitik reißenden Absatz in bundesdeutschen Redaktionen. Über das islamistische Regime der Hamas erfährt man hierzulande eher weniger. Auch das multikulturelle Leben in Israel, wohl vielfältiger als in allen europäischen Staaten zusammen, ist kaum ein Thema.
Doch Grass geht es nicht um Israel, ihm geht es um deutsche Schuld, er schält die Kartoffel – und legt dabei Folgendes frei: Sein Land werde von den „ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind“ immer wieder eingeholt und „zur Rede gestellt“ – von wem, das lässt Grass geflissentlich aus, er muss es aber auch nicht mehr betonen - Stichwort: Auschwitz-Keule.
Die Deutschen müssten sich also immer wieder rechtfertigen, auch Grass selbst dürfe wegen des „nie zu tilgendem Makel“ seiner „Herkunft“ eine „Tatsache“ nie aussprechen. Er tut es dann aber, wie so viele andere vor ihm, dennoch, weil es gesagt werden müsse, gerade weil die Deutschen „belastet genug“ nicht „Zulieferer des Verbrechens“ werden dürften – also wieder geht es um die deutsche Schuld – welche angesichts des angeblich geplanten atomaren Vernichtungsschlags Israels gegen den Iran nicht mehr „mit den üblichen Ausreden zu tilgen wäre“. Mit anderen Worten: Bislang konnte sich Deutschland hinter seinem schlechten Gewissen verstecken, aber nun treibe es Israel doch zu bunt – da könne man kein Auge mehr zudrücken, Holocaust hin, Shoah her.
Grass erklärt die jahrelangen Drohungen und Vernichtungsfantasien der iranischen Führung zu bloßem Maulheldentum, erklärt Israel kurzerhand zum „Verursacher der erkennbaren Gefahr“ und versieht die Aussage „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, der laut Umfragen eine Mehrheit der EU-Bürger zustimmt, mit einem Fragezeichen; der Gedanke wird somit in die Runde geworfen, zur Not könnte sich der „mutige Tabubrecher“ noch dahinter verschanzen, dass man wohl noch fragen werden dürfe.
Grass` Rezept gegen die Gefahr, die von Israel ausgeht: Das „atomare Potenzial“ müsse von einer internationalen Instanz überwacht werden, denn nur so sei den Israelis und Palästinensern zu helfen – und nicht nur denen, sondern „auch uns“ – nämlich um uns vor einem von Israel entfachten 3. Weltkrieg zu schützen.
Grass erfüllt mit seinem Gesagten zwar nicht unbedingt die Kriterien an ein Gedicht, aber dafür die des sekundären Antisemitismus, die unter anderem lauten: Dämonisierung Israels (Gefahr für den Weltfrieden) sowie Delegitimierung Israels (Forderung nach internationaler Kontrolle, das Recht auf Selbstverteidigung wird bestritten, eine „vom Wahn okkupierte Region“). Ähnlich wie die Islamkritiker versehen sich auch die Israelkritiker mit der Aura des Mutigen, das angeblich nötig sei, um in Deutschland Israel zu kritisieren.
Doch letztendlich geht es in Grass` Gesagtem nicht um die vielschichtigen Ebenen des Nahostkonflikts, sondern um Deutschland und Grass selbst: Um deutsche Schuld, deutsche Verbrechen und den deutschen Seelenfrieden – oder sogar unsere Sicherheit, die bedroht sei. Die Warnung lautet: Israel ist unser Unglück.
Siehe auch: Neues von der Waffen-SS
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